Eine scharfe Trennlinie zwischen Liebe und Lust.
Originaltitel: Nymph()omaniac Volume I
Alternativtitel: Nymphomaniac Volume I
Produktionsland: Dänemark, Deutschland, Frankreich, Belgien, UK
Veröffentlichungsjahr: 2014
Regie: Lars Von Trier
Drehbuch: Lars Von Trier
Produktion: Louise Vesth
Kamera: Manuel Alberto Claro
Montage: Morten Højbjerg, Molly Malene Stensgaard
Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Stellan Skarsgård, Stacy Martin, Shia LaBeouf, Christian Slater, Jamie Bell, Uma Thurman, Willem Dafoe
Laufzeit: 145 Minuten
In Nymphomaniac 1 wird die selbsterklärte Nymphomanin Joe (Charlotte Gainsbourg) an einem kalten Winterabend von Seligman (Stellan Skarsgård), einem alten Junggesellen, bewusstlos und zusammengeschlagen in einer Seitenstrasse aufgefunden. Er bringt sie in seine Wohnung, betrachtet sich ihre Wunden und versucht zu verstehen, was bei ihr schiefgelaufen sein könnte. Er beschließt, die Fremde in seiner Wohnung gesund zu pflegen.
Während des Heilungsprozesses erzählt ihm die 50-jährige Frau in acht Kapiteln aus ihrem reichen Schatz an sexuellen Erfahrungen – und zwar äußerst detailgenau.(…)
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 09.02.2014)
Die Strategie ist voll aufgegangen. Schon vor Kinostart war „Nymphomaniac“ als der absolute pornografische Tabubrecher-Film in aller Munde, was dem Interesse an Lars Von Triers neuem Film natürlich nicht geschadet hat. Nach Sichtung des ersten Teils seines Depressions-Triptychon-Abschlusses muss man jedoch eine dringende Entwarnung aussprechen: Nein, der Tabu-Film schlechthin ist Nymphomaniac nicht geworden, Von Trier hat schon pornografischere und brutalere Filme gedreht. Überraschenderweise ist „Nymphomaniac I“ sogar unglaublich lustig und geht beinahe als reinrassige Komödie durch. Wer hätte das gedacht? Ein typischer Von Trier ist „Nymphomaniac I“ trotzdem geworden, nur eben anders als man es noch in den ersten Filmminuten erwartete als ein Slow-Mo-Bild einer düsteren Vorstadt von Rammstein-Klängen durchbrochen wird. Hier bahnte sich noch ein zweiter „Antichrist“ an.
Anti-Liebe als Ideologem
Abgesehen vom Einsatz von Rammstein-Musik ist „Nymphomaniac“ ein Film wie ich ihn immer machen wollte. Er setzt eine scharfe Trennlinie zwischen Liebe und Lust, emotionaler und körperlicher Nähe. In einer frühen Episode des Films wird der Zuschauer in eine Art Nymphomaninnen-Club eingeführt. Hier wagt es der Film aus der Nymphomanie eine kollektive Ideologie zu machen und erinnert an Von Triers Meisterwerk „Idioten“, doch wäre dieser Gedankengang vielleicht zu naiv und so entfernt sich der Film wieder von diesem Ansatz und macht die Nymphomanie zu einem individuellen Ideal, das aber auch Schattenseiten birgt, denn Joe leidet unter Depressionen.
Ein seliger Vaterkomplex
Die einzige Person, für die Joe wahre Liebe empfindet, ist ihr Vater und auch wenn Von Trier einen Vaterkomplex mehr als andeutet (nicht zuletzt bedient sich Von Trier auch des Nabokov-Vokabulars „Nymphchen“), bleibt es doch bei einer Liebe auf einer symbolisch unkörperlichen Ebene, vor allem als der Vater am Ende erkrankt und die körperlichen Verrenkungen beider zunehmend wie ein körperliches Gegeneinander wirkt. Die Unkörperlichkeit ist in „Nymphomaniac I“ ein Symbol wahrer Liebe, die nicht durch den manisch-krankhaften Sexualtrieb verunreinigt ist. Es stellt sich die Frage, ob Joe überhaupt mit einem Mann auf sexueller Ebene glücklich werden kann. Vielleicht spielt hier auch Seligman eine Rolle, der seine Hilfe zurückhaltend einzig auf Verbales beschränkt.
Willkommene Selbstreflexion
Joe ist eine gebrochene Frau, die zwar an Depressionen im Zusammenhang mit ihrer Manie leidet, doch aber Freude am Mitteilen der eigenen „Unmoral“ zu empfinden scheint. Sie ist emotional verkrüppelt, aber psychologisch äußerst intelligent. Das Gespräch mit Seligman ist für sie eine willkommene psychiatrische Selbstreflexion. Von Trier verwendet hier eine relativ konventionelle Erzählweise der Rückblenden, die aber im Minutentakt in spannende Metaphern und Veranschaulichungen aufgeht. Selbst absolute Porno-Klischees reißt der Däne an und verbindet alles zu einer experimentellen Kollage, die über 145 Minuten (Director’s-Cut-Fassung) süchtig macht.
„Nymphomaniac“ zeigt Licht- und Schattenseiten der Nymphomanie und schafft es, nicht zuletzt aufgrund einer Aufteilung in fünf Kapitel, das Komödische und Tragische gegeneinander auszutarieren. Bereits im ersten Teil von „Nymphomaniac“ ist Von Trier eine wissenschaftliche Studie über die Lust und ihre Auswüchse gelungen.
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