Martial-Arts-Medley als ideale filmische Form für Battlerap.
Originaltitel: トウキョウ トライブ (Tōkyō Toraibu)
Produktionsland: Japan
Veröffentlichungsjahr: 2014
Regie: Shion Sono
Drehbuch: Shion Sono (basierend auf dem Manga „Tokyo Tribes“ von Santa Inoue)
Produktion: Keizô Yuri, Yoshinori Chiba, Shin’ichirô Masuda, Ayako Oguchi, Kinya Oguchi, Nobuhiro Iizuka, Tadashi Tanaka
Kamera: Daisuke Sôma
Montage: Jun’ichi Itô
Darsteller: Akihiro Kitamura, Ryôhei Suzuki, Young Dais, Shôta Sometani, Tomoko Karina, Yôsuke Kubozuka, Riki Takeuchi, Shunsuke Daitô, Yui Ichikawa
Laufzeit: 116 Minuten
In einem alternativen, futuristischen Japan beherrschen die sogenannten Tokyo Tribes die Stadt. Die Straßenbanden ziehen durch die Ghettos, Slums und Nachtclubs, um ihr jeweiliges Territorium zu verteidigen. Eine Überschreitung der Grenze kann zu Aufständen und gewaltigem Ärger führen. Schon seit einer Weile liegt ein Krieg in der Luft. Mera (Ryôhei Suzuki), der den Wu-Ronz-Clan anführt, will die Macht über die gesamte Stadt erlangen. Das kann sich die Musashino Saru-Fraktion, zu der auch Meras ehemaliger Schulfreund Kai (Young Dais) gehört, natürlich nicht bieten lassen. Als es erste Tote gibt, beginnt der Kampf um die Vorherrschaft, bei der Freundschaften, Liebe und Stolz auf die Probe gestellt werden.
Quelle: moviepilot.de
Replik:
Shion Sono ist ein Workaholic-Phänomen. Man könnte meinen, der 2014 in Japan releaste „Tokyo Tribe“ wäre der aktuellste Film aus seiner Feder. Aber innerhalb einen Jahres sind bereits sieben (!) neue Filme hinzugekommen. Dass dabei nicht jeder Film ein Meisterwerk wie „Love Exposure“ sein kann, ist irgendwo selbstverständlich. Trotzdem schafft es Sono in der (vermutlich auch nur in Japan so möglich seienden) Tradition von Landsmännern wie Miike, Kitano oder Iwai, mit abgefahrenen Genre-Mixes etwas darzustellen, dass ihn auch als Autorenfilmer interessant macht. „Tokyo Tribe“ ist hier keine Ausnahme. Die muntere und neonbunte Mische aus Musical, Sci-Fi und Martial-Arts-Film macht nicht nur Genre-Fans Laune, sondern ist zur selben Zeit die perfekte Formwahl für einen Film, der Battlerap thematisiert.
Martial Arts als Battlerap-Medium
Diese auf den ersten Blick oberflächliche Bemerkung, dass die passende Form von Battlerap natürlich ein „Battle-Film“ sein sollte, sei an dieser Stelle weiter ausgeführt: Es geht hier nämlich nicht nur um die Wahl eines Genres als solches, sondern auch welche Formen das Genre (idealerweise) mit sich bringt. „Tokyo Tribe“ ist ein Martial-Arts-Klopperfilm mit überstilisierten, unrealistischen Figuren, die mit ihrer Körperkraft in die Nähe von Superhelden rücken. Und nichts anderes ist der moderne Battlerap. Wenn man sich z.B. Kollegah ansieht, das aktuelle Aushängeschild des deutschen Battleraps, der sich sogar in die germanistischen Diskurse mit seiner Musik gerappt hat, dann bemerkt man Folgendes: Bei all den rhetorischen Figuren und aller Wortspiel- und Reimkomplexität, ist doch das „Was“, das in Kollegahs Musik ausgedrückt wird, ziemlich ärmlich. Es geht im Kern immer um das Zerstören von Whack-MCs, Ficken von Bitches und Verticken von Drugs. Das Rap-Äquivalent zum Drama wäre vielleicht Storyteller-Rap, aber gewiss kein Battlerap. Das „Wie“ bzw. vielmehr das „Womit“ ist im Battlerap entscheidend, die Form der immer wieder gleichen Inhalte. Bezüglich der Bemerkung einer Nähe zum Superhelden-Mythos denke man vergleichend an dieser Stelle an die Selbstdarstellung von Kollegah und Farid Bang als „Jung, brutal, gutaussehend“ und ihre dazugehörigen Musikvideos.)
Form über Inhalt
Und es ist nicht nur so, dass sich „Tokyo Tribe“ mit der Thematisierung von Sex, Gewalt und Drogen hier auch direkt auf HipHop-Fundamente bezieht (das ist ja ohnehin eindeutig und ziemlich oberflächlich), nein, es geht hier darum, dass die Gewalt- (Sex- usw.) -Darstellung in „Tokyo Tribe“ nur über seine Form funktioniert. Wir sehen immer wieder dasselbe auf unterschiedliche Weise, meistens werden strunzdumme Gegner mit Nahkampf-Choreografien besiegt. Die Attraktivität, die sich durch Kreativität und generelle Qualität der Machart ausdrückt, ist hier das Äquivalent zum Verbalisierungsakt des Battleraps, der immer wieder dieselben Punchlines in unterschiedliche Worte und Reimketten verpackt. Die Faszination ist hier die Form. Die Stumpfheit wird zu einem spaßigen, augenzwinkernd-selbstironischen (auch das ist sehr typisch Battlerap!) Genre-Unsinn verwoben. Und kein Satz könnte dieses Konzept und gleichermaßen die Essenz des Punchline-Raps besser ausdrücken als der Satz, der beim Oberbösewicht über dem luxuriösen Essenstisch hängt und der mit „Scarface“ auch ebenjenen Film referenziert, der ohnehin ein Kultfilm in der HipHop-Szene ist: „Fuck da world.„
Schnittmodus: HipHop-Medley
Das Martial-Arts-Genre ist in dem Sinne ein schwieriges Genre, da es außer durch ein sportartiges Höher-Schneller-Weiter-Prinzip kaum etwas Spannendes aussagen kann (oder sich damit zumindest traditionell schwer tut, da es kaum möglich ist zwischen all dem Genre-Konventions-Handgemenge noch eine spannende oder kluge Geschichte zu erzählen). Daher kommt es, dass schwache Filme wie „The Raid“ oder „Ong-Bak“ als Meisterwerke gefeiert werden, weil sie innerhalb dieses Genres besonders hochwertig sind. „Tokyo Tribe“ ist für mich der allererste Martial-Arts-Film, den ich überhaupt „gut“ finde, weil er eben durch seine Form auch sein vorgestelltes Thema kommentiert. Hier ist auch zu erwähnen, dass der Film im Schnitt nach der Logik eines Medleys funktioniert. Also nach einer besonders im HipHop beliebten Musikstück, das aus verschiedenen Tracks zusammengeführt ist, was dann ähnlich klingt wie jemand, der zwischen verschiedenen HipHop-Radiosendern hin- und herswitcht. „Tokyo Tribe“ nutzt diese Medley-Technik, um sich zwischen den für sich relativ austauschbaren „Handlungssträngen“ des Films hin- und her zu bewegen. „Tokyo Tribe“ ist ein Dauermusikvideo, ja, aber er macht eben auch gar keinen Hehl daraus. Das ist alles Teil von Sonos Konzept.
Mehr Kollegah bitte
Was „Tokyo Tribe“ gegenüber seiner an sich extrem passenden Form fehlt, um ein wirklich brillanter Film zu sein, sind indes Dinge, die auch im Konzept dieser Formtransformation der Musik zum Film Platz gefunden hätte. Der erwähnte Kollegah hat demonstriert, dass man z.B. auch storytellend battlen kann („Hoodtales„) oder dass man einen Spannungsbogen innerhalb eines Battles mit teilnarrativen Momenten aufbauen kann, indem man z.B. Punchlines erzählerisch miteinander verknüpft. Dazu wäre ein Film wie „Tokyo Tribe“ als Film natürlich noch weitaus mehr in der Lage. Und die Geschichte, die „Tokyo Tribe“ erzählt, ist natürlich äußerst flach und von geradezu kindlichem Gut-Böse-Dualismus. Das wäre alles nur halb so wild und ließe sich sogar einmal mehr als Faschismus-Anspielung verstehen — schließlich wollen hier schwarz-gekleidete Einheitsrapper die bunte HipHop-Kultur Tokios ausrotten — wenn der Film nicht die eine oder andere Länge dann doch aufweisen würde. So gesehen kann „Tokyo Tribe“ vielleicht ein Vorbild für weitere HipHop-Musicals sein, die es dann noch besser machen. Aber der Star in diesem Film ist ohnehin nicht die Story, sondern die Einblicke in japanische Rapkultur und die detailverliebte Ausstattung. Nicht schlecht für jemanden, der jährlich mehr Filme herausbringt als jeder mir bekannte Rapper CD-Releases (ja, auch Money Boy).
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