Engel sind blond. Und konservativ.
Originaltitel: Ein Engel auf Erden
Alternativtitel: Mademoiselle Ange
Produktionsland: Deutschland, Frankreich
Veröffentlichungsjahr: 1959
Regie: Géza von Radványi
Drehbuch: Géza von Radványi, René Barjavel
Produktion: Artur Brauner, Arys Nissotti
Kamera: Roger Hubert
Montage: Rene le Henaff, Ira Oberberg
Musik: Jean Wiener, Gerhard Becker
Darsteller: Romy Schneider, Henri Vidal, Margarete Haagen, Jean-Paul Belmondo, Michèle Mercier, Erika von Thellmann, Ernst Waldow: Corelli, Franz-Otto Krüger u.A.
Laufzeit: 86 Minuten
Wenn er ihr zufällig in die Augen blickt, könnte sie sterben vor Glückseligkeit. Die kleine Stewardess der Star-Angel-Line ist bildhübsch, unwiderstehlich, unglaublich verliebt und trotzdem todunglücklich. Denn sie ist für Charmeur und Rennfahrer Pierre Chaillot einfach Luft. Er hat nur seine Verlobte, die reiche und verwöhnte Augusta von Münchenburg, im Kopf. Selbst sein bester Freund Michel bringt ihn nicht auf andere Gedanken. Da hat der Himmel ein Einsehen mit dem Kummer der kleinen Stewardess. Ein Engel kommt in ihrer Gestalt für 24 Stunden auf die Erde, um Schicksal zu spielen.
Quelle: moviepilot.de
Replik:
Géza von Radványis zweite Zusammenarbeit mit dem deutsch-französischen Megastar Romy Schneider nach dem skandalösen und mutigen Lesbendrama „Mädchen in Uniform“ ist ein erschreckender Rückschritt in Radványis Werk, sowohl aus filmhandwerklicher als auch intentionaler Hinsicht. Der Titel von „Ein Engel auf Erden“ ist leider programmatisch. Ein Engel kommt auf die Erden, um einen reichen Rennfahrer und eine junge Stewardess zusammenzubringen, da wo die Liebe auf dem ersten Blick zunächst versagte. Das mag anno 1959 ein salonfähigerer Kitsch gewesen sein, den Film macht das aber nicht besser.
Unsympathische Figuren
Ein Engel soll mit göttlicher Beihilfe eine schüchterne Stewardess mit einem reichen Rennfahrer zusammenbringen, der mit einer ebenso wohlhabenden Prinzessin liiert ist. Nun das erste Problem des Films: Die Sympathien, die sich für die Figuren ergeben können, bauen einzig auf Oberflächlichkeiten auf. Der reiche Rennfahrer Pierre ist ein reicher Mann der alten Schule. Eine wirklich sympathische Figur ist das bestenfalls für Leute, die sich ohnehin nur für Oberflächen von Menschen interessieren, in diesem Fall seinem attraktiven Aussehen, seinem Glamour-Beruf des Rennfahrers und seinen konservativen Gentleman-Attitüden. Das bleibt aber alles sehr schematisch und ohne Eigenheiten oder Identifikationspotenzialen. Noch schlimmer ist die Figur der hübschen Prinzessin Augusta, da diese als eindimensional hochnäsige Bitch verbraucht wird. Im Gegensatz zu ihr soll der Zuschauer zu Sympathien gegenüber der von Schneider verkörperten Doppelrolle des Engels/Stewardess manipuliert werden. Allerdings nervt diese Figur mit ihren kindlichen Spielchen und Engels-Plattitüden so sehr, dass man sich fast mehr Screentime der fiesen Augusta wünscht. Das Kernproblem ist aber, dass sich einfach nicht erschließt, wieso die oberflächliche Begegnung im Flieger zwischen einem blassen reichen Rennfahrer und einer langweiligen Stewardess, die im Bonbons anbietet, sowas wie Liebe auf dem ersten Blick sein sollte.
Ein Regenbogenpresse-Film
Natürlich ist das intentionale Eigenpotenzial eines Films, der ernsthaft das Thema Engeln auf Erden thematisiert äußerst beschränkt — sogar ein ambitioniertes Projekt wie Wim Wenders‘ „Himmel über Berlin“ wandelt ja an einem schmalen Grat zum Kitsch — aber selbst die wenigen Gelegenheiten klug über den Mensch und seiner Fähigkeiten und Limits zu reflektieren, verpasst Radványis Film katastrophal. Da heißt es dann, auf der Erde sei es so merkwürdig, da man hier „Hunger, Durst, Angst usw.“ habe. Das ist Kellerküchenphilosophie. Dieses wirklich ganz gezielt auf ein bildungsschwaches, von einem südfranzösischen Luxusleben träumende Publikum abzielende Line-Dropping, ist auch von komödischer Kleinstqualität, die über das Anhäufen seichter, sich im Kreise drehender Wortwechsel nie hinweg kommt. Natürlich ist das Bedienen desselben Klientels solcher Regenbogenpresse-Zeitschriften, wie sie heutzutage eben hauptsächlich Frauen über 60 sind, angesichts des Enstehungszeitraums des Films nicht verwunderlich und offenbart ja auch einen interessanten Blick auf Lebensvorstellungen der 50er Jahre, aber angesichts eines mondänen Films wie „Außer Atem“ von Jean-Luc Godard aus demselben Jahr (bei dem Jean-Pierre Belmondo seinen Durchbruch erlebte, der hier auch in einer verschenkten Nebenrolle zu bewundern ist), erscheint Radványis getragene Ideologie in diesem Machwerk doch geradezu mittelalterlich.
Christlich-erzprüde
Engel sind in diesem Film wunderwirkende Zauberwesen, die mit edlen Botschaften auf die Welt versandt werden. Zumindest wenn man davon ausgeht, dass das Zusammenbringen einer profillosen Stewardess mit einem Macho-Rennfahrer sowas wie eine gute Tat ist. Was sollen hungernde afrikanische Kinder darüber denken? Das wirklich Erschreckende an „Ein Engel auf Erden“ ist aber seine Bereitschaft, das Engelsein als zwangsläufigen Bezug auf einen gewissen christlichen Fundamentalismus zu denken. Der Ober-Engel, gekleidet als Nonne (als was auch sonst?), ist ein prüdes, strenges Mütterchen, das dem Romy-Schneider-Engel nicht erlaubt, auch nur sekundär-sexuell, also z.B. küssend, mit dem Rennfahrer zu verkehren (vor der Ehe natürlich, auch wenn das der Film nur zwischen den Zeilen ausdrückt). Der von Schneider performierte Engel lotet diese „moralische Grenze“ zwar ein wenig aus, indem er mit dem Rennfahrer tanzt, aber letztendlich kapituliert der Engel vor dieser prüden Grenze. Ja, in diesem Film wird sich nicht geküsst. Nur einmal mit der vorher liierten Prinzessin Augusta. Aber die ist ja eh böse.
(In einer Szene wird Augusta dann tatsächlich als „Teufel“ bezeichnet).
Bourgeoise Engel
Erschreckend ist das Ergebnis dieses Films als ein biederer, von Kitschigkeit schwangerer Liebesfilm, über die große Liebe, die mit himmlischen Kräften heraufbeschworen und zusammengehalten werden muss, da Géza von Radványi nur die Chance in seiner Karriere bekam, teure Filmprojekte wie dieses mit Stars wie Romy Schneider zu realisieren, da er mit „Irgendwo in Europa“ einen beeindruckenden Film schuf, der eine sozialistische Entstehungsvision ohne falsche Töne darstellte. Wo aber ist Radványis sozialistischer Impetus, wenn er von der großen Liebe des reichen Individuums in der südfranzösischen Bonzenhochburg um die Côte d’Azur erzählt? Zumal sich der Film nichtmal als reine Auftragsarbeit entschuldigen lässt, schließlich ist Radványi als Co-Autor des Drehbuchs geführt.
Wenn Engel wirklich solche konservativen, langweiligen Gestalten sind, dann können wir auch auf sie verzichten. Und warum müssen Engel eigentlich zwangsläufig blond sein?
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